Fachartikel zum Konzept der zwei Welten
- heinzscheuring
- 16. Dez. 2020
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Juni
Zu viel Integration ist kontraproduktiv
Seit einigen Jahrzehnten schon wird Projektmanagement in den Unternehmen mittlerweile erfolgreich gelebt. Bei der Einführung von Projektmanagement-Software sind Misserfolge indessen weiterhin verbreitet, und die Unsicherheit über die passende Tool-Strategie hält an. Hauptproblem sind meist unrealistische Integrationsvorstellungen. Wichtigstes Gebot ist die kluge Differenzierung zwischen dem Management des einzelnen Projektes und der übergeordneten Steuerung des gesamten Projektportfolios.
Projektmanagement ist längst zur unternehmerischen Selbstverständlichkeit geworden, wenngleich die Potenziale hier noch nicht ausgeschöpft sind. Darüber hinaus hat in fortschrittlichen Organisationen inzwischen auch das Projektportfolio-Management – das Management der Gesamtheit der Projekte in der Organisation – Einzug gehalten. Als zentrales Instrument zur Umsetzung der Unternehmensstrategie trägt dieses entscheidend zum langfristigen unternehmerischen Erfolg bei.
Anspruchsvoll gestaltet sich hingegen nach wie vor die Frage nach der zielführenden IT-Unterstützung in dem Bereich. Bei der Evaluation und Einführung passender Tools ist verbreitet Hilflosigkeit festzustellen, die sich häufig auch durch den Einsatz externer Berater nicht auflöst. Der Beitrag geht den Ursachen nach und zeigt Lösungskonzepte auf.
Software für Projektmanagement
Vieles im Projektmanagement lässt sich mittels Informatik sinnvoll unterstützen. Manches davon erfordert keine dedizierten Projektmanagement-Werkzeuge. Office-Anwendungen oder Collaboration-Tools etwa leisten nicht nur bei Routineaufgaben ihren Beitrag. Richtig eingesetzt, können sie auch die Projektarbeit bedeutend erleichtern. Im Folgenden werden derweil jene Systeme beleuchtet, die auf das Projekt- oder Projektportfolio-Management spezialisiert sind. Im Zentrum dieser Anwendungen stehen die Planung und Steuerung von Terminen und Kosten und des Ressourceneinsatzes sowie das Management wichtiger qualitativer Projektkenngrössen.

Das Angebot an Projektmanagement-Tools auf dem Markt ist mittlerweile derart breit, dass hier selbst die Experten den Überblick verlieren. Manche der Systeme legen den Fokus auf das Management des einzelnen Projektes, andere auf die Steuerung von Projektportfolios. Demgegenüber beanspruchen einige Suiten im Highend-Bereich für sich, beide Ebenen umfassend und vollintegriert zu bedienen. Bei diesem Claim – vgl. dazu die Abbildung 1 – ist jedoch sehr genau hinzuschauen. Denn im Anspruch dieser totalen Integration liegen erfahrungsgemäss die grössten Risiken bei der Einführung von Projektmanagement-Software.
Manche mögen von einem IT-System träumen, mit dem sich sämtliche Aufgaben des Projekt- und Projektportfolio-Managements über alle Ebenen der Unternehmens- und Projekthierarchie, ob in klassischer oder agiler Umgebung, mühelos managen lassen. Solche Vollintegrationsszenarien sind jedoch zum Scheitern verurteilt. Dies liegt weniger an der Software als an organisatorischen und menschlichen Faktoren.
Die Herausforderung: Ressourcenplanung
Wer sich beim Einsatz des Projektmanagement-Systems mit der Planung von Terminen, Kosten und qualitativen Projektdaten begnügt, mag die Kopplung von Projekt- und Projektportfolio-Management mit viel Beharrlichkeit hinbekommen. Soll mit dem System indessen auch die Multiprojekt-Ressourcenplanung abgedeckt werden, dann versagt diese vollintegrierte Lösung. Die Zahl an Fehlschlägen, denen der Autor begegnet ist, spricht hier eine sehr deutliche Sprache.
Dabei ist es gerade dieser Anwendungsbereich, den evaluierende Organisationen von Projektmanagement-Systemen meist mit Nachdruck fordern, wie Anbieter solcher Systeme übereinstimmend bestätigen. Dies zu Recht, ist doch die zielgerichtete Planung und Steuerung der personellen Ressourcen über sämtliche Projekte und laufenden Aufgaben zentraler Bestandteil eines modernen Managements.

Die Aufgabe ist indes nicht nur von hoher Bedeutung – sie zählt auch zu den anspruchsvollsten im Bereich des Managements. Nicht ohne Grund gilt sie weiterherum als die Königsdisziplin des Projekt- und Projektportfolio-Managements. Die Komplexität des Ressourcenmanagements liegt zu einem guten Teil in der Matrix-Situation begründet, die es zu bewältigen gilt (Abbildung 2). Projektleiter und Linienvorgesetzte vertreten unterschiedliche Interessen und Sichten, die sich durch Toolunterstützung allein nicht überwinden lassen. Projektleiter haben ihr Projekt und dessen Erfolg im Blick. Dabei sind sie zwar auf qualifizierte Mitarbeiter mit ausreichend Kapazität in ihrem Projekt angewiesen. Die Verantwortung für die Ressourcenplanung liegt jedoch – in enger Abstimmung mit den Projektleitern – bei den Vorgesetzten der Organisationseinheiten in der Linie: bei den Team- oder Abteilungsleitern. Es ist dieser Interessenkonflikt, bei dem die Projektleiter um limitierte personelle Ressourcen wetteifern, der zur gefürchteten Paralyse durch überintegrierte Systeme führt.
Da die Ressourcenplanung beim vollintegrierten Ansatz auf der feingranularen Ebene von Vorgängen oder Tasks erfolgt, steigt zudem der Aufwand der dynamischen Nachführung ins Unerträgliche. Brauchbare Resultate werden ausbleiben und – schlimmer noch: Fehlentscheide aufgrund unvollständiger oder falscher Daten werden die Organisation auf den Boden der Realität zurückholen. Während die Terminplanung auf der Ebene von Vorgängen (klassische Planung) bzw. Tasks (agile Welt) stattfindet, sollte die Ressourcenplanung auf dem Niveau von Projekten oder Projektphasen bzw. Releases betrieben werden.
Zwei Welten und weiche Integration
Die Erkenntnis führt zum Konzept der zwei Welten, bei dem die Detailplanung des Projektleiters einerseits und das Projektportfolio- und Ressourcenmanagement der Linienorganisation andererseits soweit autonom bleiben, dass sie sich nicht gegenseitig blockieren. Dabei behält der Projektleiter die Selbständigkeit, die er für eine effiziente, flexible und kundenorientierte Planung benötigt. Dass diese mit der übergeordneten Grobplanung des Projektportfolios und der Ressourcenplanung abgestimmt sein muss, versteht sich von selbst. Diese Koordination erfolgt indessen in erster Linie durch Kommunikation zwischen den beiden Playern.
Die Konsequenz für die Software: Die beiden Anwendungsbereiche werden entweder mittels eigenständiger Werkzeuge unterstützt oder aber im integrierten Projekt- und Projektportfolio-Management-System so weit voneinander getrennt, dass sie keinen gegenseitigen Schaden anrichten.
Zunächst zum ersten Szenario, bei dem für die beiden Aufgabenbereiche separate Tools zum Einsatz gelangen. Für die Detailplanung des Projektleiters bieten sich klassische Planungstools, wie Microsoft Project oder Freeware an, während die Wahl im Bereich der agilen Entwicklung auf ein Scrum-Tool wie JIRA fallen mag. Für Projekte mit überschaubaren Dimensionen kann auch der Einsatz von Excel oder eines generischen Taskmanagement-Systems ausreichen. Auch das übergeordnete Projektportfolio-Management und das Ressourcenmanagement lassen sich in einfacheren Fällen mit Excel unterstützen. Bei grösseren Organisationen wird man jedoch kaum um das professionelle Projektportfolio-Management-System herumkommen, das überzeugende, auf das Linienmanagement zentrierte Ressourcenplanungsfunktionen anbietet.
Kommen wir zum anspruchsvolleren Szenario, bei dem das Projekt- und das Projektportfolio-Management mit demselben System unterstützt werden sollen, ohne die beiden Anwendungsbereiche hart zu koppeln. Einige integrale Projektportfolio-Management-Anwendungen bieten die Möglichkeit, die im Projektportfolio grob gehaltenen Projekte zum Zweck der Projekt-Detailplanung mittels angedockter Task- oder ToDo-Listen zu verfeinern. Unter dem Begriff der «Weichen Integration» hat der Autor ein System konzipiert, das noch einen Schritt weitergeht. Dabei schliesst der Projektleiter seine Detailplanung an die Grobplanung an und verfeinert diese bei Bedarf mehrstufig, um das Projekt differenziert abzubilden (vgl. Abbildung 3). Die Ressourcenplanung wird auf die rote Ebene begrenzt. Wo der Schnitt zwischen Rot und Blau angesetzt werden soll – ob auf der Ebene des Projektes, der Projektphase gemäss Abbildung oder auf einer feineren Ebene –, entscheidet der Anwender projektspezifisch. Die Detailplanung lässt sich in den Ressourcenplanungs- und Portfoliosichten wahlweise anzeigen oder verbergen.

Der Vorteil im Vergleich zu getrennten Tools für die «zwei Welten» liegt darin, dass sich diese innerhalb derselben Anwendung und damit einfacher koordinieren lassen. Während der Projektleiter Einblick in die Ressourcenauslastung seiner Projektmitarbeiter nimmt, informieren sich der Portfoliomanager oder ein Teamleiter über den Stand der Detailplanung durch den Projektleiter. Dass ein solch teilintegriertes Projekt- und Projektportfolio-Management eine gewisse Reife der Organisation erfordert und schrittweise einzuführen ist, versteht sich von selbst.
Das Fazit
Weniger ist auch bei Projektmanagement-Systemen mehr. Dies bezieht sich ganz besonders auf den Traum der Vollintegration, der sich in der Praxis meist zum Albtraum verkehrt. Erfahrungen dieser Art werden mittlerweile durch zahlreiche Systemanbieter bestätigt. Aber auch die Anwender selber sind diesbezüglich mehrheitlich, meist aufgrund schmerzvoller Erfahrungen, in der Realität angekommen. War vor 20 Jahren noch aktive Überzeugungsarbeit angesagt, winken Teilnehmer in Präsentationen das Konzept der zwei Welten heute meist widerstandslos durch.
Der Hinweis, dass für einen erfolgreichen Betrieb eines Projektmanagement- oder Projektportfolio-Management-Systems neben der Technik selbstredend auch klug gestaltete Prozesse erforderlich sind, darf zum Abschluss nicht fehlen. Die Prozessgestaltung erfolgt dabei mit Vorteil parallel zur Konzeption und Implementierung der Software, denn die beiden Ebenen – Prozesse und IT-Unterstützung – befruchten sich gegenseitig.
Dieser Fachbeitrag erschien in der Dezember-Ausgabe 2020 der Zeitschrift Management und Qualität. Sie können diesen hier im PDF herunterladen. Weitere spannende Beiträge finden Sie wie immer auch auf unserer Download-Seite.
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